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Die Zeit
Donnerstag, 29. April 1999

Gemeinsam sorgen geht ja


Das neue Kindschaftsrecht erwartet von Eltern, daß sie sich auch ohne Trauschein beide um die Kinder kümmern. Und es wirkt

Von Christine Brasch

Der Mann vom Jugendamt Hamburg-Wandsbek ist fassungslos. "So ein Blödsinn! Warum wollen Sie das denn?" ruft er. "Das können Sie doch auch noch später regeln!" Vor ihm sitzt ein junges Paar. Anja Helmers ist hochschwanger. Zusammen mit Frank Iben, dem zukünftigen Vater, ist sie gekommen, um die Anerkennung der Vaterschaft beurkunden zu lassen. Die beiden wollen etwas ganz Neues: eine gemeinsame Sorgerechtserklärung für die noch nicht geborene Tochter abgeben. Es gelingt ihnen nur mühsam, den Mann auf der anderen Seite des Schreibtisches von seinen Pflichten zu überzeugen.

Was dem Angestellten des Jugendamtes nicht einleuchtete, ist Bestandteil des neuen Kindschaftsrechts - und hat handfeste Vorteile: An der Geburtsurkunde wird nicht mehr zu sehen sein, ob die Eltern des Kindes verheiratet sind oder nicht. Der Vater trägt von Anfang an auch die rechtliche Verantwortung. Sollte der Mutter bei der Geburt etwas zustoßen, braucht er um das Sorgerecht nicht zu kämpfen.

Eltern eines gemeinsamen Kindes sind und bleiben die Eltern, ganz gleich, wie sie rechtlich und persönlich zueinander stehen - das ist die Programmatik des neuen Kindschaftsrechts, das vor einem guten dreiviertel Jahr, genau am 1. Juli 1998, in Kraft getreten ist und im Verhältnis von Eltern und Kindern neue Maßstäbe gesetzt hat. Nichtverheiratete Eltern, auch wenn sie getrennt leben, können sich seither das Sorgerecht teilen. Das ist schon vor der Entbindung möglich. Trennt sich ein Ehepaar, so behalten beide das gemeinsame Sorgerecht. Wenn keiner von beiden das alleinige Sorgerecht beantragt, so gibt es ein Scheidungsverfahren ohne Sorgerechtsentscheidung - was vor der Novellierung des Gesetzes unmöglich war.

Diese gemeinsame Sorge ist nicht so absolut gemeinsam, wie es klingt. In "alltäglichen" Fragen hat der Partner, bei dem das Kind lebt, das Entscheidungsrecht. Nur in Fragen von "erheblicher Bedeutung" müssen sich Mutter und Vater einigen. Es gibt noch eine weitere Besonderheit der neuen gemeinsamen Sorge: Sie kann zwar von den Eltern ohne Gerichtsentscheid beantragt, aber nur vom Gericht wieder aufgehoben werden. Das Gericht muß einem solchen Begehren übrigens nicht Rechnung tragen. Beantragt ein Elternteil die alleinige Sorge, kann das Gericht trotzdem die Eltern zur gemeinsamen Sorge verurteilen. Zum Beispiel, wenn etwa der Richter meint, den Eltern fehle zur Einigung nur ein bißchen guter Wille.

Der Elternteil, der kein Sorgerecht hat, hat ein Recht auf Umgang mit dem Kind - und nach der neuen Rechtslage sogar die Pflicht dazu, eine Pflicht, die praktisch natürlich nur einen moralischen Character hat, weil sie nicht einklagbar ist.

Zwar gibt es noch keine offiziellen Zahlen, doch sind sich die meisten Fachleute einig: Das gemeinsame Sorgerecht gewinnt an Boden. Professor Siegfried Willutzky, Vorsitzender des Deutschen Familiengerichtstages, sagt: "Nach dem, was wir von den Gerichten hören, ist die Zahl der Anträge auf Alleinsorge enorm zurückgegangen. Während früher um die 80 Prozent der Scheidungen mit dem alleinigen Sorgerecht eines Elternteils endeten, sind es heute - je nach Gericht - höchstens 50 Prozent, manchmal sogar nur 10 Prozent. Dabei scheint die Intensität der Beratung bei der Entscheidung für die gemeinsame Sorge eine große Rolle zu spielen."

Ähnliches berichtet Heiner Krabbe von der Beratungsstelle Trialog in Münster, einer der führenden Fachleute für Scheidungsmediation: "Immer mehr Eltern suchen Beratung: Sie wollen wissen, wie das gemeinsame Sorgerecht funktioniert, wie sie eine Vereinbarung aushandeln können und wie sie mit den Kindern sprechen sollen." Heiner Krabbe ist von der Wirkung des Gesetzes überzeugt: "Dies ist eines der wenigen Gesetze, die der Realität nicht hinterherlaufen, sondern sie tatsächlich gestalten. Die Eltern merken: Ihr Sorgerecht ist nicht in erster Linie ein Thema der Justiz, sondern ihr eigenes."

Guter Wille scheint also reichlich vorhanden. In der Praxis allerdings sind schon einige Haken aufgetaucht, zum Beispiel die Frage, wer denn beim gemeinsamen Sorgerecht tatsächlich die Entscheidungen trifft. Darf eine Mutter ihr dreijähriges Kind in den Urlaub nach Ägypten mitnehmen? Darf ein Kind ohne die Genehmigung des anderen Elternteils die Schule wechseln? Und, ganz schwierig: Darf der Elternteil, der das Kind betreut, aus beruflichen Gründen in eine andere Stadt ziehen?

Alle drei Fragen müssen - vereinfacht gesagt - mit nein beantwortet werden. Was auf den ersten Blick vielleicht vernünftig aussieht, heißt in der Praxis oft, daß alleinerziehende Elternteile zwar immer noch die ganze Last tragen, jetzt aber auch noch um Erlaubnis bitten müssen, wenn es um wichtigere Entscheidungen geht. Oder, wie es Edith Weiser vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter (VAMV) formuliert hat: "Den Vätern das Recht - den Müttern die Sorge?" Der VAMV ist deshalb gegen die gemeinsame Sorge als Regelfall und plädiert für eine Sorgerechtserklärung, die von beiden Eltern ausgearbeitet und deshalb auf Dauer besser akzeptiert wird.

Und noch etwas macht vor allem den alleinerziehenden Müttern am neuen Gesetz zu schaffen: das unbedingte Recht des nichtbetreuenden Elternteils - meist ja der Vater - auf Umgang mit dem Kind. Zwar ist der Ansturm der unverheirateten Väter auf die gemeinsame Sorge nach Meinung der Experten bisher ausgeblieben. Auch gibt es keine Anzeichen für verbesserte Zahlungsmoral, die sich die Befürworter des Gesetzes erhofft hatten. Jugendämter und Sozialarbeiter berichten dagegen von typischen Problemfällen: Väter, die noch nie bereit waren, Unterhalt zu zahlen oder sich auf andere Weise um ihr Kind zu bemühen, entdecken jetzt ihr Recht. Und die Mütter sollen diesen Umgang auch noch fördern, ganz gleich, welche schlechten Erfahrungen sie und/oder das Kind schon mit dem Vater gemacht haben. Dient das dem Wohl des Kindes?

Heiner Krabbe von Trialog meint: ja. "Es gilt der Satz: Ein schlechter Vater ist besser als gar kein Vater. Die Frauen tun sich selbst keinen Gefallen, wenn sie den Kontakt verhindern. Denn sie müssen auch noch gegen den tollen Phantom-Vater im Kopf des Kindes ankämpfen. Mit einem realen Vater kann ein Kind sich weit besser auseinandersetzen - selbst wenn er unzuverlässig ist."

Dort aber, wo solch eine Familie nicht ausreichend psychologischen Rückhalt hat - und das dürfte die Mehrzahl der Fälle sein -, sind Mutter und Kind schnell überfordert. Eine Sozialarbeiterin, die täglich alleinerziehende Familien betreut: "Da haben Kinder und Mutter jahrelang unter dem Hin und Her des unzuverlässigen Besuchsvaters gelitten, die Frau ist froh, daß er endlich wegbleibt - und nun soll sie den Kontakt plötzlich unterstützen?"

Nicht immer ist der Staat übrigens so konsequent in der Förderung des Kindeswohls durch den Umgang mit dem Vater. Es reicht schon, daß der Vater Ausländer ist - dann kommen gleich andere Interessen ins Spiel. So berichtet Doris Pfeiffer-Pandey vom Verband binationaler Familien und Partnerschaften (iaf) von dem Fall eines Algeriers, der nach vollzogener Scheidung von einer Deutschen das Sorgerecht für den Sohn mit ihr teilte. Trotzdem wurde er von einem bayrischen Gericht aufgefordert, das Land zu verlassen - die Ehe hatte nicht lange genug bestanden, um eine Aufenthaltserlaubnis zu rechtfertigen. Jetzt sitzt er in Abschiebehaft - weil er nicht freiwillig ausgereist ist. Fragt sich, wie dieser Mann von Algerien aus seiner Umgangspflicht zum Wohle des Kindes nachkommen wird.


Streiterei um die Kinder
gibt es bei manchen Gerichten nur noch in zehn Prozent aller Scheidungsfälle. Die meisten Eltern versuchen, auch nach ihrer Trennung die Kinder zusammen zu erziehen. Viele brauchen Beratung.

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