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Südwestpresse
Samstag, 29. März 2003

FAMILIE / Ohne Oma und Opa läuft in der Kinderbetreuung nur wenig

Die Komplizen der Enkel


Untersuchung entlastet Großeltern vom Vorwurf der Verwöhnung

Neue Oma? Kalter Kaffee, sagen jene, für die Großeltern schon immer die wichtigsten Komplizen der Enkel waren. Unbedingt, erwidern andere und verweisen auf die Forschung, die der dritten Generation zentrale Bedeutung für die Entlastung junger Familien beimisst.

ANDREAS HACKER

Großeltern können großartig sein: Sie schenken Cola aus oder spendieren das von den Eltern verwehrte Bauchnabel-Piercing. Sie können stundenlang zuhören und haben in nussbaumfurnierten Schrankwänden unzählige Schätze von früher. Klar, dass die meisten Kinder da zu der Einschätzung kommen, dass Oma und Opa für sie besonders wichtig sind, wie die Zeitschrift "Eltern" im vergangenen Jahr gemeldet hat. Mit einer Einschränkung: Sie sollen ihre Enkel so mögen, wie sie sind, sagen die befragten 8- bis 16- Jährigen, sollen Zeit haben und nicht dauernd rumerziehen wollen.

Die neue Aufmerksamkeit für Oma und Opa hat ihren Grund: Mit dem Wandel der Familie und der zunehmenden Berufstätigkeit der Mütter stellt sich die Frage nach der Kinderbetreuung mit verschärfter Dringlichkeit. In Baden-Württemberg hat sich nach Angaben des Statistischen Landesamts die Zahl der allein Erziehenden auf 348 000 erhöht. Damit gibt es inzwischen in jeder vierten der 1,7 Millionen Familien mit Kindern im Land nur noch ein Elternteil und damit ein häufig ungelöstes Problem - wer passt auf die Kinder auf? Klare Antwort: die Oma, und mit deutlichem Abstand auch der Opa.

"Großeltern leisten unglaublich viel", sagt Roswitha Sommer-Himmel aus Fürth, die an der Universität Bamberg zu diesem Thema promoviert hat. In ihrer Arbeit singt sie das Hohelied auf die dritte Generation: Großeltern fungierten als "Kinderfrauen des kleinen Mannes", als kostengünstige Tagesmütter, ja: sie seien die wichtigste sozialpolitische Einrichtung zur Betreuung der Kleinkinder berufstätiger Mütter.

"Wenn Großeltern (v)erziehen" heißt der Titel der Broschüre, in der die Familienforscherin gleichzeitig zum Thema macht, was der Autor Thomas Wieke eine der Todsünden im Umgang von Oma und Opa mit ihren Enkeln nennt: dass sie sich in die Erziehung einmischen. "Großeltern haben schon mal Kinder erzogen und meinen nun, sie könnten das viel besser."

Roswitha Sommer-Himmel kann zumindest für ihre Gruppe Entwarnung geben. Selbstverständlich sei da, was die Autorin "verwöhnende Tendenzen im Alltag" nennt: Pommes mit einer extra Portion Ketchup für Johannes, ein Löffel Nougatcreme direkt aus dem Glas. Doch zur Rolle der Großeltern gehöre das Privileg zu nachsichtigem Verhalten: "Dafür sind doch die Großmütter da, dass die Kinder ein bisschen mehr dürfen als bei den Eltern", zitiert sie eine Oma aus ihrer Untersuchung und wertet dies als positiven Gegenpol zur elterlichen Erziehung.

Damit werde sehr behutsam umgegangen, sagt Roswitha Himmel-Sommer, die in der Familienforschung eine Lücke schließt und als eine der ersten die Perspektive der Großeltern beisteuert. Für viele sei dies zudem eine Chance zu später Wiedergutmachung - für zu wenig Geduld, Zeit oder Geld bei den eigenen Kindern. "Man hat eigentlich, zumindest was die Freude und das anbelangt, mehr von seinen Enkelkindern als von seinen Kindern", sagt eine 58-Jährige. Eine 61-jährige Witwe, die in ihrer Wohnung täglich zwei Enkel betreut, sagt offen, dass sie sich heute als Großmutter "viel lockerer verhalten kann als damals als Mutter". Andere lernen dazu: "Das habe ich mir geschworen, dass ich kein Kind mehr zum Essen zwinge, das habe ich bei Lisas Mutter gemacht", erzählt die Oma, bei der nicht mehr aufgegessen werden muss. Nur probieren ist Pflicht, dann darf abgelehnt werden.

Bei aller Rücksicht darauf, nicht allzu weit von elterlichen Prinzipien abzuweichen, bestätigt die Untersuchung aber auch eine Art wachsende Komplizenschaft zwischen Alt und Jung. "Ach, sie bettelt mich so darum, da kann ich nein sagen", berichtet eine 54-jährige Bäuerin, warum die vierjährige Enkelin bei ihr trotz Milchüberempfindlichkeit Kaba trinken darf: "Dann koche ich die Milch ab und verdünne sie richtig, damit sie nicht so fett ist."

Im Kinderbuch ist dieser Wandel weg von den Großeltern als moralische Autorität hin zum Verbündeten der Enkel im Kampf gegen die erziehende Generation und deren Normen schon vollzogen. Da legt die Oma dem Frieder das Schnitzel mit dem Bagger auf den Teller, da sitzen Großmama und Großpapa einträchtig nasebohrend auf der Bank und widerlegen alle Schauergeschichten vom steckengebliebenen Finger und der nicht heilenden Wurzelentzündung.

Gute Erzähler

Für Thomas Wieke ist das gut so, denn trotz des Altersunterschieds sieht er Großeltern und Enkel als natürliche Verbündete: "Nur gemeinsam können sie es schaffen, die Eltern in die Generationszange zu nehmen" - Oma und Opa seien hervorragende Erzähler, und ihre Erfahrungen reichten weiter zurück als die der Eltern. So bleibe nicht aus, dass in Geschichten deutlich wird, wie auch Vater und Mutter als Kinder einst hilflos und fehlbar waren.

Dass Oma und Opa auch Macken haben, streitet niemand ab. Wieke listet in seinem Ratgeber "Hilfe, wir werden Großeltern" weitere "Todsünden" auf: Wenn sie die Enkel nicht so lieben, wie sie sind. Wenn sie einen Enkel bevorzugen. Wenn sie die Enkel gegen die Eltern aufbringen. Wenn sie die Schwiegergroßeltern schlecht machen oder die Geduld verlieren. Aber wer, wenn nicht Oma und Opa, soll die Lücken schließen, die sich immer wieder zwischen elterlichen Grundsätzen und der wirklichen Welt auftun? Zum Beispiel, wenn es darum geht, dem Enkel endlich eine Spritzpistole zu schenken, ohne dass der pazifistische Imperativ des Vaters allzu sehr entkräftet wird.

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