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Südwestpresse
Dienstag, 20. Januar 2004

Die Scheidungsspirale


Von Jahr zu Jahr melden die Statistiker neue Scheidungsrekorde. Antje Berg beschreibt, was hinter dieser Entwicklung steckt und spricht mit dem Familienforscher Hartmut Esser. Er erklärt, was unzertrennliche von gefährdeten Paaren unterscheidet.

SCHEIDUNG / Viele Ehen halten den hohen Erwartungen nicht stand

Verzweifelte Suche nach dem Glück


Nur eine Minderheit holt sich Hilfe - Trennung ist nicht immer das Schlechteste

Ob Männer oder Frauen - die meisten glauben an die große Liebe, die ein Leben lang hält. Doch in vielen Fällen sieht die Wirklichkeit anders aus: Die Zahl der Scheidungen steigt von Jahr zu Jahr. Die einen sind früher, die anderen später am Ende ihrer Träume.

ANTJE BERG
"Warum sollten Männer, die bei klarem Verstand sind, heiraten?", fragte einst der amerikanische Schriftsteller und Nobelpreisträger John Steinbeck. Wollte man diese Frage heute erneut aufwerfen, so müsste sie im Zeitalter der Gleichberechtigung sicher ergänzt werden: "Warum sollten Frauen, die recht bei Sinnen sind, eine Ehe eingehen?" Doch so oder so, die Antwort lautet stets: Männer wie Frauen glauben an die große Liebe, die ein Leben lang hält. Das zumindest sagen drei Viertel aller Deutschen. Immer wieder beteuern sie in Umfragen, für sie stünden Ehe und Familie ganz oben auf der Werteskala.

Die Wirklichkeit freilich sieht anders aus: Die Zahl der Scheidungen steigt von Jahr zu Jahr - 204 000 waren es 2002, so viele wie nie zuvor. Die Klatschspalten der Zeitungen sind voll mit Geschichten über Hochzeiten, Scheidungen und Wiederverheiratungen prominenter Politiker, Stars und Sternchen.

Ein Widerspruch? Nur auf den ersten Blick, meinen Fachleute. Denn die meisten Ehen, sagt etwa der Familienforscher Wassilios Fthenakis, "scheitern an überzogenen Glückserwartungen". Die Menschen suchen in einer immer komplizierteren Welt "verzweifelt nach Intimität und wollen das Maximum an Glück in der Beziehung finden".

Dies umso mehr, als sie heute ausschließlich "aus Liebe" heiraten und sich mit der Hochzeit nicht, wie früher, auch wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zwängen beugen. In der Ehe will man sich vor allem selbst verwirklichen.

Doch der Alltag hält den hohen Erwartungen nicht stand. Die einen sind früher, die anderen später am Ende ihrer Träume. "Nur eine Minderheit holt sich dann Hilfe", sagt Dorothee Schif, Leiterin der Psychologischen Beratungsstelle der evangelischen Kirche in Stuttgart.

Zum Beispiel Tanja (30) und Claudius (33 Jahre). Sie will die Trennung, er unbedingt eine Familie gründen. In Gesprächen mit der Beraterin findet das Paar heraus, warum es so tief in der Krise steckt. Für Tanja drängt sich in den Vordergrund, dass sie nach dem frühen Tod der Mutter für ihre Geschwister sorgen müsste. Mehr und mehr beschleicht sie das Gefühl, noch nicht genügend Zeit für sich gefunden zu haben. Claudius hingegen, der seine Eltern stets nur streitend erlebt hat, sehnt sich gerade deshalb nach einer intakten Familie.

Sofort ins nächste Abenteuer

Die beiden seien kein Einzelfall, meint Dorothee Schif: Immer häufiger trifft sie auf Paare, die zwar finanziell auf eigenen Füßen stehen, also nach außen hin einen unabhängigen Eindruck machen, in Wirklichkeit aber immer noch in ihrer Kindheit und in Konflikten mit den Eltern gefangen sind. In der eigenen Ehe sollen sich nun möglichst alle Wünsche und Hoffnungen erfüllen. Geschieht das nicht, sei die Enttäuschung riesig, sagt die Eheberaterin. "Und statt erst mal zu schauen, was denn da genau los ist, schmeißt man alles hin.

Dorothee Schif will den Paaren Mut machen durchzuhalten - "zumindest erst einmal innezuhalten". Keine leichte Aufgabe, in einer Zeit, "in der viele Leute vor allem Spaß haben wollen und sich deshalb so schnell wie möglich ins nächste Abenteuer stürzen".

Psychologen sind sich einig darin, dass Krisen wie Krankheit, Erschöpfung, Probleme im Beruf und innere Konflikte oft nicht mehr partnerschaftlich, getragen werden. Sie sind zäh, dauern zu lange, so dass man in schnelllebiger Zeit lieber weiterzieht. Vielen Menschen, so scheint es, fällt es inzwischen leichter, einem Lebensstil als dem Partner treu zu sein.

Gelegenheit zum Seitensprung gibt es genug - und es wird, glaubt man den Umfragen, reichlich Gebrauch davon gemacht. Um ein prickelndes sexuelles Erlebnis dreht es sich dabei nur vordergründig. Genau betrachtet, meinen Gesellschaftsforscher, gehe es um das Thema Zeit. Denn Treue bedeute, Zeit ineinander zu investieren.

Eine Studie der Universität Oldenburg legt den Schluss nahe, dass viele Paare zu wenig für ihr Glück tun: Oft verlange man vom Partner mehr, als man zu geben bereit sei, sagt der Psychologe Ulrich Mees.

Besonders häufig fehlt offensichtlich die Fähigkeit, offen und konstruktiv miteinander zu reden, sodass auch schwierige Situationen gelöst werden können. Tanja und Claudius wollen sich darum bemühen. Ihr Entschluss nach den Beratungsgesprächen: Jeder stellt seinen Wunsch in den nächsten Monaten zurück, stattdessen nimmt man sich viel Zeit füreinander. Welche Entscheidung die beiden letztlich treffen werden, bleibt dabei offen.

Eine Trennung muss nicht immer die schlechteste Lösung sein. "Wer Trends beschreibt", sagt Dorothee Schif, "läuft Gefahr zu verallgemeinern." Aus ihrer Beratungspraxis weiß sie, dass man vielen Paaren damit nicht gerecht wird. Hinter jeder gescheiterten Ehe steckt eine persönliche Geschichte. Da kündigt die Frau die Ehe auf, weil ihr Partner seit Jahren depressiv ist und sich nicht behandeln lassen will. Da leidet der Mann, weil seine Partnerin ihn auf der Suche nach Selbstbestätigung immer wieder betrügt. Da verzweifelt ein Paar, weil es sich nichts mehr zu sagen hat.

So verwundert es nicht, dass die Zahl derer steigt, die ohne Trauschein und damit unverbindlicher zusammenleben. Nach wie vor aber machen sich jedes Jahr auch Hunderttausende auf den Weg zum Standesamt. Dies in der Hoffnung, ihnen möge das Kunststück einer guten Ehe gelingen. Selbst John Steinbeck konnte es nicht lassen - und fand schließlich die Richtige. Es war seine dritte Ehefrau.
INTERVIEW

Kein Drama mehr


Früher hat manches Ehepaar Jahrzehnte still vor sich hin gelitten, heute laufen viele Paare bei den ersten Problemen auseinander, sagt der Mannheimer Familienforscher Hartmut Esser. "Die hohe Scheidungsrate kann man als Preis für ein Mehr an Möglichkeiten sehen."
STATISTIK / Seit 1969 hat sich die Zahl der Scheidungen mehr als verdoppelt

Die meisten Ehen scheitern nach wenigen Jahren


Zwischen dem fünften und dem achten Ehejahr passiert es am häufigsten: Paare, die sich versprochen haben, das Leben miteinander zu verbringen, lassen sich scheiden. Inzwischen scheitert jede dritte Ehe.

Seit 1969 hat sich die Zahl der jährlichen Scheidungen mehr als verdoppelt. Immer häufiger kommt es auch nach langer gemeinsamer Zeit zur Trennung. Fast jede zehnte Ehe endet heute nach 26 und mehr Jahren. Bei jeder zweiten Scheidung sind heute Kinder betroffen - jährlich etwa 150 000.

Von Jahr zu Jahr heiraten weniger Paare - und sie tun es immer später: Das durchschnittliche Heiratsalter liegt bei 31,6 Jahren (Männer) und 28,8 Jahren (Frauen).

Zwei Drittel aller Scheidungen werden von Frauen eingereicht. Interessantes hat dazu der Mannheimer Familienforscher Hartmut Esser herausgefunden: Zieht man die Fälle ab, in denen Gewalt und Alkohol im Spiel ist, halten sich Männer und Frauen die Waage. Die Mehrheit der Geschiedenen wagt übrigens einen zweiten Versuch: Nach fünf Jahren Trennung sind 55 Prozent der Männer und 60 Prozent der Frauen wieder verheiratet.

Im europäischen Vergleich liegt die Haltbarkeit deutscher Ehen im Mittelfeld: In Finnland und Schweden wird heute etwa die Hälfte aller Ehen wieder geschieden, in Frankreich liegt die Scheidungsrate mit 38 Prozent etwas höher als hierzulande.

Beständiger sind die Paare im Süden. So zerbrechen in Spanien nur 20 Prozent aller Ehen.

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