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Südwestpresse
Dienstag, 24. Januar 2005

FAMILIE / Langzeitstudie widerlegt viele Mythen um Scheidungsfolgen

Mit starkem Willen neue Ziele ansteuern

Wenn sich Paare trennen, leiden vor allem die Kinder. Diese weit verbreitete Meinung ist zwar in manchen, bei weitem aber nicht in allen Fällen richtig. Eine Langzeitstudie hat ergeben, dass viele Betroffene sogar gestärkt aus einer Scheidung hervorgehen.

DANIELA EGETEMAYER
Es war eine zufällige Entdeckung, die das Fass zum Überlaufen brachte. Lydia fand Rechnungen eines auswärtigen Hotels, die die Seitensprünge ihres Mannes bewiesen. Schlagartig wurde ihr klar, wie viele Demütigungen sie hingenommen hatte, um ihre Ehe aufrecht zu erhalten. Das war vor über zwanzig Jahren.

Damals hat Lydia mit der Teilnahme an einer Studie begonnen, die einzigartig ist. Einzigartig wegen ihrer langen Dauer, einzigartig aber auch wegen der Zahl der befragten Personen. In annähernd 1400 Familien mit 2500 Kindern wurden die Folgen der Scheidung erforscht. In differenzierten, kameragestützten Interviews untersuchte die amerikanische Professorin für Psychologie E. Mavis Hetherington Art und Ausmaß der Probleme, die auf Eltern und Kinder warten.

Scheidungsfolgenforschung ist ein Gebiet, das in den letzten Jahren auch in Deutschland an Gewicht gewinnt. Für Aufsehen sorgte eine Studie des Nürnberger Juraprofessors Roland Proksch, der vor knapp zwei Jahren die Folgen der Kindschaftsrechtsreform untersuchte. Andere, wie etwa der Bremer Soziologieprofessor Gerhard Amendt, greifen mit den "Scheidungsvätern" einen Teil der Betroffenen heraus und geben ihnen eine Stimme.

Gleichwohl ist die über 30 Jahre dauernde wissenschaftliche Begleitung von Familien nach Trennung und Scheidung, wie es der amerikanischen Professorin gelang, neu. Und sie widerlegt im Langzeitvergleich viele Mythen, die sich um Scheidung ranken. So sind etwa Scheidungskinder nicht notwendigerweise für ihr Leben gezeichnet. Vielmehr zeigen nur wenige ernsthafte und nachhaltige Probleme, sich in ihrem Leben zurecht zu finden. Und viele geschiedene Erwachsene geraten anfangs zwar in Turbulenzen, gehen langfristig jedoch gestärkt aus der Scheidung hervor.

Freilich: So unterschiedlich wie die Menschen, so unterschiedlich sind auch ihre Lebensläufe. Da sind die einen, die sich beruflich fortbilden und ein weites Spektrum an Hobbys und Interessen entwickeln, und die anderen, die ihr Heil in einer möglichst baldigen neuen Ehe suchen. Da gibt es diejenigen, die ziel- und glücklos durchs Leben irren, und andere, in denen eine Scheidung ungeahnte Kräfte und einen unbändigen Willen zum Erfolg freisetzt.

Eines macht Mavis Hetherington klar: Wer in Hilflosigkeit und Selbstmitleid verharrt, wird auf Dauer zu den Verlierern einer Scheidung gehören. Gefragt sind Initiative, Zähigkeit und der Wille zur Veränderung.

Dies gilt auch für die Kinder. Sie brauchen mindestens einen Menschen, der sich selbstlos und couragiert um sie kümmert. Ihnen Grenzen setzt, wo sie Grenzen benötigen, gleichzeitig jedoch warmherzig, verlässlich und unterstützend ist. Denn nicht selten sind die Rollen vertauscht. Da fungieren schon Zehnjährige als Trostspender und Ratgeber eines hilflosen Erwachsenen und lassen ihm jene Fürsorge angedeihen, die eigentlich sie selbst benötigen. "Kinder brauchen eher eine kompetente, fürsorgende Mutter als eine anstrengende mütterliche Freundin", betont Hetherington.

E. Mavis Hetherington, John Kelly: Scheidung. Die Perspektiven der Kinder, Verlag Beltz, Weinheim, 384 Seiten, 19,90 Euro. - Gerhard Amendt: Scheidungsväter, Ikaru Verlag, Wien, 238 Seiten, 21,50 Euro.

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